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blog 230 - nachwort - biographie konstantin wecker

21.05.2017 08:58

„man muss zunächst mal zugeben, dass das altern scheisse ist.“

eigentlich wollte ich roland bitten, diesen satz zu streichen.
er war mir spontan peinlich. aber ich habe ihn nun mal gesagt.
was hat sich seitdem geändert?

ich bin älter geworden. noch älter.
und ich find es gar nicht mehr so schlimm, das altsein.
und ich bin froh, dass ich das nicht aus irgendwelchen ratgebern
nachplappern muss, sondern es erfahren durfte.

wenn schopenhauer schreibt, „der charakter der ersten lebenshälfte
ist die unbefriedigte sehnsucht nach glück;
der der zweiten die besorgnis vor unglück“,
dann lese ich das nicht so pessimistisch,
wie es der grosse pessimist vielleicht gemeint hat.

man hat die sehnsucht nach glück als unbefriedigt erkannt
und mehr oder weniger ad acta gelegt.
die besorgnis vor unglück hingegen lässt sich aushalten,
und wenn man sie als solche akzeptiert hat,
vielleicht sogar umwandeln in achtsamkeit.

das alter birgt in seiner zerbrechlichkeit
seine eigene schönheit des soseins,
des seins ohne anspruch und ehrgeiz,
mag sein nicht ganz ohne eitelkeit,
aber doch ohne albernes rumgegockel.
ohne aufplustern und alles-besser-wissen-wollen.

als ich 50 wurde, dachte ich. die welt geht unter,
weil meine jugend nun endgültig vorbei ist.
als ich 60 wurde, bereitete mir die sechs vor der null
noch schlaflose nächte.
auf meinen 70. freue ich mich nun richtig.

ich bin dankbar, wenn ich ihn erleben darf,
und das alter macht mir keine angst mehr.
es ist da, und ich habe es dankend angenommen.

alles passiert nun mal immer nur in der gegenwart.
wenn sie jetzt dieses buch lesen,
werden sie es in der gegenwart lesen,
und ich schreibe es im jetzt,
egal wie jung ich anscheinend mal war.

bin ich nun altersmilde geworden? beileibe nein!

speziell die generation der 68er hat geradezu die verpflichtung,
weiter aufzubegehren gegen die „identitäre aggression, die europa droht“.
„ich möchte es nicht faschismus nennen“, schreibt franco bifo berardi,
der italienische philosoph, der mir sehr ans herz gewachsen ist,
„aber ich denke, es ist etwas sehr ähnliches.“

[konstantin wecker]